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Ist das Schweizer Gesund­heits­wesen FHIR®-ready?

Katalin Ilosvay Luca

Neue digitale Technologien wie Gesundheits-Apps für Smartphones oder das elektronische Patientendossier (EPD) steigern bei Patient*innen die Nachfrage danach, dass sie Zugriff auf ihre eigenen Gesundheitsdaten erhalten. Spitäler stehen damit vor der Herausforderung, diese Informationen entsprechend bereitzustellen. FHIR® ist ein Standard, der genau hier ansetzt und den Datenaustausch von Softwaresystemen im Gesundheitswesen unterstützen und vereinfachen soll. Doch wie weit sind Spitäler bei der Umsetzung tatsächlich? Wird der FHIR®-Standard genutzt und seitens der Software-Hersteller überhaupt angeboten? Studierende der Berner Fachhochschule (BFH) befragten im Rahmen ihrer Diplomarbeit mit fachlicher Unterstützung des Healthcare-Spezialisten SER Interact Digital AG Schweizer Spitäler und Software-Hersteller dazu, wie sie die Marktsituation beurteilen.

FHIR

Was ist FHIR®?

Fast Healthcare Interoperability Resources, kurz FHIR® (ausgesprochen wie Englisch „fire“), ist ein von HL7 erarbeiteter Standard, der den Datenaustausch zwischen Software-Systemen im Gesundheitswesen unterstützt. Der Bedarf, medizinische Informationen elektronisch zu übermitteln, besteht seit langem und zielt auf den internen Datenverkehr innerhalb eines Krankenhauses ab. Mit der zunehmenden Digitalisierung und der steigenden digitalen Kommunikation zwischen Patienten und Gesundheitsorganisationen steigt allerdings das Bedürfnis, Daten auch einrichtungs- und sektorübergreifend sowie über mobile und Cloud-basierte Anwendungen austauschen zu können. Zudem soll der Datenaustausch innerhalb kürzester Zeit möglich sein, damit Patient*innen schnell versorgt werden können. Dieser Bedarf besteht auch in der Schweiz, wie die BFH-Befragung aufzeigt:

Die treibenden Faktoren von FHIR® in der Schweiz

  • Durch die Digitalisierung informieren sich Patient*innen breiter über Gesundheitsthemen und fordern zunehmend die Kontrolle über ihre medizinischen Daten.
  • Die Nachfrage, Patientendaten über Einrichtungs- und Fachrichtungsgrenzen hinweg zu kommunizieren, steigt.
  • Der Trend zu mobilen Apps, dem elektronischen Gesundheits- und Patientendossier (EPD) sowie zur Cloud hält im Gesundheitswesen seit Jahren an.
  • Es besteht seitens der Patient*innen und Behandler zunehmend der Bedarf, zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort Zugriff auf Informationen zugreifen zu können.

FHIR®-Nachholbedarf trotz bester Voraussetzungen

FHIR® ist agil, unterstützt mobile Architekturen und erleichtert den ortsunabhängigen Zugriff auf Daten. Daher sollte es als Schnittstelle theoretisch in der Schweiz auf dem Vormarsch sein. Im Zusammenhang mit der Einführung des EPD (Elektronisches Patientendossier) wird FHIR® ebenfalls gefördert, besonders von der IHE, einer internationalen Initiative zur Verbesserung des technischen Datenaustausches und der Interoperabilität von IT-Systemen im Gesundheitswesen, und HL7 Schweiz, einer Gruppe internationaler Standards für den Austausch von Daten zwischen Organisationen im Gesundheitswesen und deren Computersystemen. Seit Dezember 2018 arbeitet HL7 Schweiz an einer Grundlage von FHIR® CH Core-Profilen zum einheitlichen Austausch von FHIR®-Ressourcen in der Schweiz und initiiert in dem Rahmen verschiedene Maßnahmen, z.B.:

  • HL7-Empfehlungen zu mHealth (Medizinische Verfahren sowie Maßnahmen der privaten und öffentlichen Gesundheitsfürsorge, die auf mobilen Geräten angeboten werden)
  • Leitfaden zur Implementierung von FHIR® für die eMedikation (Informationssystem über den Patient*innen verordnete und an sie abgegebene Arzneimittel)
  • Test der Interoperabilität verschiedener Software-Systeme über FHIR® im Rahmen der jährlich stattfindenden Connectathon-Veranstaltungen

Trotz dieser Voraussetzungen zeigen die Ergebnisse der BFH, dass die Verbreitung von FHIR® in der Schweiz nach wie vor verhalten ist:

1. Fehlendes Know-how in Spitälern

Obwohl in der Befragung viele der teilnehmenden Hersteller angaben, FHIR®-Schnittstellen im Angebot zu haben, ist die Verwendung in den Spitälern noch nicht sehr verbreitet. Das befragte Spital- und Klinikpersonal gab als Grund dafür an, dass vielfach noch Unsicherheit gegenüber HL7 FHIR® besteht. Sie verfügen selbst über ungenügendes Know-how in ihren IT-Abteilungen und wünschen sich dazu Unterstützung durch die Software-Hersteller.

2. Geringe Nachfrage bei Herstellern

Seitens der Hersteller wiederum wird der Markt für FHIR® aktuell noch nicht als bereit eingestuft. Aus ihrer Sicht fehlt die Nachfrage durch Spitäler und Kliniken, ein Vorantreiben entsprechender Lösungen noch nicht sinnvoll erscheint. Die Hersteller sehen bei FHIR® allerdings große Vorteile gegenüber den herkömmlichen HL7 Versionen, die aktuell in Kliniken und Spitälern genutzt werden. Insbesondere bei der Einbindung von mobilen Applikationen decken letztere die Anforderungen nur unzureichend ab.

3. Hoher Umsetzungsaufwand

Neben der Notwendigkeit, Daten mit mobilen Anwendungen auszutauschen, sehen die befragten Spitäler und Kliniken bei FHIR® durchaus den Vorteil in erhöhter Standardisierung und Interoperabilität, welche den Datenaustausch beschleunigen und vereinfachen. Trotz dieser Vorteile zögern sie bei der Umstellung auf FHIR®, da aus ihrer Sicht die Aufwände sehr groß sind und der Nutzen noch eher klein. Die Technologie wird allenfalls bei neuen Anwendungsfällen eingesetzt, ältere Systeme laufen weiter mit den herkömmlichen HL7 Versionen.

Challenge für Spitäler & Hersteller

Hey Doxi, worin besteht die Challenge für Spitäler & Hersteller?

Die Diplomarbeit der BFH-Studierenden zeigt, dass die Umsetzung von FHIR® sowohl bei den Spitälern als auch bei den Herstellern in der Schweiz noch nicht weit fortgeschritten ist. Die Hersteller würden gerne von den Kliniken und Spitälern wissen, in welche Richtung es bezüglich der Schnittstellen-Anforderungen gehen soll. In Teilbereichen wie im Fall der eMedikation, welche einen neuen Anwendungsfall darstellt, wurden die Anforderungen seitens der Spitäler vorab definiert und dementsprechend bereits viel realisiert. Bei FHIR® sind die Spitäler aktuell eher zurückhaltend und wünschen sich Beratung und Unterstützung von ihren Lieferanten. Hier sind die Hersteller gefordert, aktiv auf die Kunden zuzugehen und bei der Umstellung zu unterstützen. Die Spitäler wiederum werden im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung und der Notwendigkeit, ihre IT-Landschaft zu modernisieren, auf lange Sicht nicht um FHIR® herumkommen, wenn sie eine optimale Patientenversorgung sicherstellen wollen.

Die Befragung ist selbst ein Beispiel dafür, wie die Kooperation zwischen Spitälern und Herstellern verbessert werden kann. Durch die Ergebnisse wird nicht nur transparent, vor welchen Herausforderungen Spitäler stehen und was sie sich von den Herstellern wünschen. Die fachliche Begleitung durch einen Healthcare-Spezialisten ist gleichzeitig ein Schritt in die von den Spitälern gewünschte Richtung: Hersteller kommen auf die Spitäler zu, um ihre Anforderungen zu verstehen und können auf dieser Basis mit ihnen passende Lösungen umsetzen.

Über die BFH-Studienarbeit

Im Rahmen einer Abschlussarbeit für das Certificate of Advanced Studies (CAS) eHealth an der BFH (Berner Fachhochschule) wurde in Form einer Umfrage die Verbreitung von FHIR® im Schweizer Gesundheitswesen untersucht. Verfasst wurde die Arbeit von Matthias Valeri (Medizintechniker, Spital Schwyz), Andreas Ressnig (COO, Glaux Soft AG), Florian Wälti (Ingenieur Service & Applikation, Ziemer Ophthalmic Systems) sowie Katalin Ilosvay Luca (COO, Interact Digital AG). Die Forschungsarbeit wurde fachlich vom Healthcare Competence Center der SER Group und SER Interact Digital AG begleitet. Die Umfrage fand im Februar 2021 bei 37 Herstellern und 60 Spitälern einschließlich aller Healthcare-Kunden der SER Interact Digital AG statt.

Die vollständige Arbeit finden Sie auf der Website von HL7 CH.

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