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Intelligentes Gesundheits­wesen mit Doxis

Die Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft m.b.H. (KAGes) in Graz verfügt über einen derart großen, hochwertigen und kritischen Datenschatz, dass sie in der glücklichen Lage ist, die Einführung und Weiterentwicklung moderner Technologien wie Künstlicher Intelligenz, Big Data, Augmented Reality und Sensorik zurecht als einen logischen und wertvollen Schritt im Dienste der Gesellschaft und der Wirtschaftlichkeit argumentieren zu können – während es anderswo in der Business-Welt oft nur um die Frage geht, ob man irgendeinen technologischen Hype mitmachen soll oder nicht.

Die außergewöhnliche Datenlage, mit der CIO Univ. Prof. Dipl.-Ing. Dr. Werner Leodolter und die jeweiligen Teams der KAGes derzeit arbeiten können, beschreibt er so: „Wir sind in der luxuriösen Situation, über die elektronischen Krankengeschichten von nahezu der gesamten steirischen Bevölkerung zu verfügen – und das durchgehend über einen Zeitraum von 15 Jahren. Jetzt gilt es, diesen Datenschatz mithilfe modernster Technologien nutzbar zu machen.“

Historischer Datenschatz hilft Patienten

Zu diesem Zweck verfolgt er mit der KAGes und den Forschungspartnern mehrere Forschungs- und Entwicklungsprojekte, die sich unter drei Schwerpunkten subsumieren lassen. Erstens geht es um die Auswertung und Aufbereitung der vorhandenen Krankengeschichten. Die Zielsetzung ist klar: Aus den historischen Daten sollen unter anderem Muster abgeleitet werden, die erkennen lassen, wenn für einen konkreten Patienten eine aktuelle Gefährdung vorliegt, und die helfen, daraus ableitend spezielle Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Einerseits wird dafür In-Memory-Computing benutzt, konkret SAP HANA. Andererseits soll Natural Language Processing zum Einsatz kommen, um semantische Analysen fahren zu können.

„Die Herausforderung ist, dass die medizinische Sprache eine komplizierte ist, weil viele Abkürzungen vorkommen und dieselben Dinge unterschiedlich benannt werden. Das bedeutet, dass hier sehr viel semantisches Wissen und Struktur notwendig sind.“ Auch die Zurverfügungstellung der Ergebnisse ist keine profane Aufgabe, da sie kontextbezogene Relevanz bieten muss: „Der Unfallchirurg im Emergency Room braucht eine andere Sicht auf die Krankengeschichte als der Arzt bei der kardiologischen Nachuntersuchung“, so Leodolter. Der zweite Schwerpunkt umfasst die Aufbereitung der Bild und Videodateien, die vor allem an der angeschlossenen Universitätsklinik rasch steigende Verwendung für wissenschaftliche Zwecke finden. „Man versucht Videoarchivierung in der Regel zu verhindern, da sie das Potenzial hat, alle Ressourcen zu sprengen. Daher geht es hier darum, die Videos so zu verkürzen und zu annotieren, dass nur das Relevante aufbewahrt werden kann.“

Den dritten Schwerpunkt bildet die sogenannte elektronische Fieberkurve: „Auch hier haben wir ein Projekt gestartet, um den digitalen Lückenschluss zu vollziehen und die Prozesse wie Visite, Führen der Fieberkurve und Medikation strukturiert abzubilden“, so Werner Leodolter.

Krankengeschichten in Gesundheitsakten & Multimedia-Archiv

All die genannten Innovationen setzen eine IT-Infrastruktur voraus, die etwa mit den verschiedensten Dateiformaten, dem rasant steigenden Datenvolumen und den unterschiedlichen Anforderungen der Nutzer in den Bereichen Medizin, Pflege und Forschung performant umgehen kann und gleichzeitig die Basis für künftige Entwicklungen bildet. Die KAGes hat zu diesem Zweck eine Zwei-Plattform-Architektur entwickelt – Microsoft für Büroanwendungen und Informationsservices wie Intranet etc. und SAP für medizinische und administrative Anwendungen. Die Archivierung der Krankengeschichten, die dank der elektronischen Gesundheitsakten ELGA Tag für Tag an Wert gewinnt, hat dabei eine Brückenfunktion in der Anwendungsarchitektur. Zu diesem Zweck hat die KAGes vor kurzem Doxis eingeführt. Mit der ECM-Plattform ist es möglich, krankenanstaltsweit alle Informationen – unabhängig von Quelle und Format – zu erfassen, zu verwalten, zu bearbeiten, zu steuern, revisionssicher aufzubewahren und jederzeit wieder auszugeben. Als wissenschaftliches Bildarchiv ohne Patientenbezug ist zudem Imagic in Verwendung, das mit Doxis reibungslos gekoppelt werden konnte. Der Zugriff auf die archivierten Daten erfolgt über das steuernde System open-MEDOCS bzw. i.s.h.med und SAP als Technologieplattform.

Chancen & Risiken der Intelligenten Prozessautomation

Welche Rolle moderne Technologien in einem Unternehmen spielen, welche Vorteile, aber auch welche Risiken sie mitbringen, hat Werner Leodolter in seinem Buch „Das Unterbewusstsein von Organisationen. Neue Technologien – Organisationen neu denken“ zusammengefasst und auf eine wissenschaftliche Basis gestellt. Leodolter geht von der Hypothese aus, dass Erkenntnisse darüber, wie Entscheidungsfindungsprozesse des Einzelnen ablaufen, sich bis zu einem gewissen Grad auf Organisationen anwenden lassen. Wie beim Einzelnen spielt laut dem KAGes-CIO auch bei Entscheidungsfindungsprozessen in Organisationen das „Unterbewusstsein der Organisation“ eine zentrale Rolle. Im Bereich Informations- und Kommunikationstechnik seien es vor allem die modernen Technologien, wie etwa Big Data oder Künstliche Intelligenz, die „Prozesse in den Hintergrund, sprich ins Unterbewusstsein, verlagern, was im Sinne der Effizienz wünschenswert ist, aber auch große Gefahren bedingt, wenn wir Entscheidungen zunehmend automatisieren, ohne uns im Klaren zu sein, ob diese auch die richtigen sind.“

Es geht also darum, den goldenen Mittelweg zu finden: Einerseits können technologische Entwicklungen wie Big Data, Social Media, Augmented Reality, Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz von einer Organisation nur dann erfolgreich genutzt werden, wenn sie im „Unterbewusstsein der Organisation“ und damit deren Infrastruktur gezielt eingebaut werden und den handelnden Menschen intuitiv zugänglich und nutzbar gemacht werden. Andererseits braucht es die permanente bewusste Auseinandersetzung mit der Frage, welche Prozesse und Entscheidungen wir der Maschine überlassen können und wo wir unbedingt „im Fahrersitz bleiben müssen“. Leodolter spricht in diesem Zusammenhang von „hybrider Intelligenz“ als erstrebenswertem Ziel.

 

Der vollständige Artikel erschien erstmals im November 2017 in der österreichischen COMPUTERWELT, Sonderausgabe IT-MACHER, Autor: Wolfgang Franz.

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