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Chief Tech Talk: „RPA der Maschinist, BPM der Ingenieur“
Dr. Gregor Joeris
Wer möchte nicht gerne zeitraubende Routinejobs am Rechner automatisieren? Jair Godschalk, Geschäftsführer der SER Solutions Deutschland, weiß aus seiner Erfahrung mit SER-Kunden, welchen Mehrwert sich Unternehmen durch Prozessautomation in puncto Effizienzsteigerung, Serviceverbesserung und Kostenersparnis erhoffen. Doch eignet sich die aktuell gehypte Robotic Process Automation (RPA) dafür? Das diskutiert er mit Dr. Gregor Joeris, Chief Technology Officer der SER Group. Im Chief Tech Talk räumen die beiden mit Irrtümern und Missverständnissen rund um RPA auf und zeigen, warum Business Process Management (BPM) oft die bessere Wahl ist, wenn Geschäftsprozesse über Bereiche hinweg durchgehend automatisiert werden sollen.
Godschalk: In Gesprächen mit unseren Kunden kommt zurzeit immer öfter das Thema RPA zur Sprache: Sie lesen und hören gerade viel über Robotic Process Automation, das ist zu einem regelrechten Hype geworden, der viele Hoffnungen und Erwartungen weckt. Was kann RPA tatsächlich leisten – wie definierst du RPA?
Joeris: Mit RPA können Unternehmen strukturierte Aufgaben automatisieren, die nur wenige Arbeitsschritte beanspruchen und sich mehrfach am Tag wiederholen – also beispielsweise Daten von einem IT-System in ein anderes zu übertragen. RPA kann also Mitarbeiter von Aufgaben entlasten, die zwar viel Zeit fressen, aber wenig zur Wertschöpfung beitragen und fehleranfällig sind – Stichwort Tippfehler.
Godschalk: Zur Automatisierung ist auch Business Process Management in der Lage. Genau das führt aber immer wieder zu Irritation: Kunden fragen mich, was denn der Unterschied zwischen RPA und BPM sei. Woran würdest du den Unterschied festmachen? Geht BPM über RPA hinaus?
Joeris: Genau, bei RPA-Lösungen ist das Anwendungsspektrum deutlich begrenzter als im BPM. RPA bleibt an der Oberfläche, geht also nicht über APIs, sondern simuliert nur die Dateneingabe des Menschen. Eigentlich müsste man von RTA sprechen, von Robotic Task Automation. Dann wäre auch klar, dass hier wirklich nur das Klicken und Tippen der Datatypisten nachgeahmt wird. Ein Unternehmen kann mit RPA die Geschwindigkeit eines Ablaufs optimieren, nicht aber seine Qualität oder Sinnhaftigkeit. Ein schlechter Ablauf bleibt auch mit RPA ein schlechter Ablauf. BPM wiederum steht für einen ganzheitlichen Ansatz, um komplette Geschäftsprozesse von Anfang bis Ende durchgehend zu digitalisieren, zu automatisieren und auch zu optimieren. Darüber hinaus verzahnt BPM Prozesse durchgehend über System- und Fachabteilungsgrenzen hinweg. Hierbei bleiben die Mitarbeiter weiter eingebunden und treffen Entscheidungen. Automatisierung kann dabei behilflich sein, sie aber nicht ersetzen.
„Eine RPA-Anwendung kann keine Entscheidungen im individuellen Kundenservice treffen“
Godschalk: RPA ist also dann stark, wenn es bei einfachen und wiederkehrenden Aufgaben hilft, Zeit zu sparen, weil die Software Dinge parallel erledigt, die ein Mitarbeiter nur hintereinander abarbeiten kann. So eine Anwendung braucht einfache Regeln mit wenigen Ausnahmen – und der größte Vorteil besteht darin, dass er im Gegensatz zum Menschen rund um die Uhr läuft und nicht müde wird oder die Konzentration verliert.
Joeris: Ich denke da zum Beispiel an die Einkaufsabteilung eines Unternehmens: Um optimale Konditionen zu bekommen, muss jemand in der Abteilung ständig Lieferanten-Websites und Portale nach den bestmöglichen Konditionen abklopfen und entsprechende Preislisten zusammenstellen. Das ist mühsame Klickarbeit. Eine RPA-Anwendung kann das automatisieren und in kurzen, regelmäßigen Abständen Preislisten erstellen – fehlerfrei, ohne zu ermüden. Solche wiederkehrenden, strukturierten Aufgaben finden sich in jedem Unternehmen. Geht es jedoch um adaptive Vorgänge und Ad-hoc-Prozesse, stößt RPA an seine Grenzen.
Godschalk: Welche Grenzen sind das – können wir das auch an einem Beispiel konkretisieren?
Joeris: Nehmen wir den Kundenservice: Wenn ein Kunde etwas bestellen, sich beschweren oder einfach nur informieren will, kann die RPA-Anwendung zwar alle verfügbaren Daten zum Kunden oder zum Servicefall in Kürze und lückenlos abrufen oder auch Kundendaten neu im System anlegen – Entscheidungen treffen kann sie aber nicht, weil sie ja nur die Dateneingabe nachahmt. Der digitale Kollege ist also ausschließlich in dienender, unterstützender Funktion tätig. Eine BPM-Lösung optimiert den gesamten Prozess end-to-end, von der Kontaktaufnahme über den Kauf bis zum After-Sales. Auf diese Weise ist es dann auch möglich, gezielt Mitarbeiter nach ihrer Verfügbarkeit und ihrem Skill-Set in den jeweiligen individuellen Kundenfall einzubinden.
„Wenn man so will, ist RPA der Maschinist und BPM der Ingenieur“
Godschalk: Wir haben es also auf der einen Seite bei BPM mit einem umfassenden Geschäftsprozessansatz zu tun, der detailliert Unternehmensabläufe modelliert, durchführt, überwacht, und sie dann verbessert – und zwar im Sinne von Business Values. Auf der anderen Seite haben wir mit RPA einen digitalen Helfer, der gezielt an Workflows, wie etwa im Einkauf oder im Rechnungswesen, angedockt werden kann. Demnach muss man keine Entweder-Oder-Entscheidung zwischen BPM und RPA treffen, sondern kann RPA fallweise als sinnvolle Ergänzung nutzen. Trotzdem stellen wir immer wieder fest, dass die Begriffe Verwirrung und falsche Erwartungen auslösen – woran liegt das?
Joeris: Ein weit verbreitetes Missverständnis besteht darin, dass Unternehmen RPA mit BPM gleichsetzen und daher glauben, dass RPA Prozesse durchgängig automatisieren kann. Hierbei werden zwei Dinge in einen Topf geworfen, die man sauber voneinander trennen muss. RPA ist vergleichbar mit einem Werkzeug, BPM dagegen eine Management-Software. Beide spielen nicht in der gleichen Liga. RPA kann immer nur überschaubare, sich wiederholende manuelle Teilaufgaben eines Prozesses automatisieren. BPM hingegen kann deutlich mehr: Nicht nur Workflows steuern und automatisieren, sondern auch komplette Prozesse entwerfen und verbessern – weil mit BPM Nachvollziehbarkeit und Transparenz in Prozesse einzieht. Mit seinen Analyse- und Reporting-Funktionen trägt es dazu bei, Datensilos und Flaschenhälse in der Systemlandschaft zu entdecken und so Prozessverbesserungen auf den Weg zu bringen. Wenn man so will, ist RPA der Maschinist und BPM der Ingenieur.
„RPA ist nicht die Allzweckwaffe für Automatisierungen in Unternehmen.“
Godschalk: Ich habe das Gefühl, dass wir den Unternehmen diese Unterscheidung noch besser erklären müssen, damit sie die Grenzen des Maschinisten RPA erkennen.
Joeris: In der Tat wollen Unternehmen RPA oft für komplexe Prozesse einsetzen oder damit Lösungen komplett ersetzen – und überfordern dieses Werkzeug damit deutlich. Man muss es so deutlich sagen: Das Etikett Robotic Process Automation verspricht mehr, als es hält. Wie bereits erwähnt, wäre Robotic Task Automation (RTA) angemessener. Hinzu kommt: Es kostet Zeit und Aufwand, alle Tätigkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit RPA vollständig nachzubauen. Bereits bestehende Automatisierungen reichen oft schon aus, ein echter Mehrwert ist durch RPA kaum zu erzielen. Unternehmen sollten sich demgegenüber vor Augen halten, dass BPM immer die umfassendere und nachhaltigere Lösung darstellt. Läuft der Datentransfer über eine API, wird der Prozess immer sauberer und effizienter als ein Workaround über RPA, wo man sich spätestens fünf Jahre nach seiner Einführung über schlecht verwachsene Prozesse ärgert. Natürlich braucht man für BPM kurzfristig mehr Ressourcen, vor allem in der IT. Aber auf lange Sicht ist es definitiv vernünftiger.
„Anwendungsfälle für Automatisierung mit Bedacht auswählen“
Godschalk: Es scheint ein verbreiteter Irrglaube zu sein, dass RPA sofort betriebsbereit sei und überall im Unternehmen einsetzbar ist. Doch der Versuch, komplexe Fachprozesse flächendeckend auf RPA umzustellen, hat kaum Aussicht auf Erfolg. Dabei wird der zweite Schritt vor dem ersten gemacht. Nötig wäre es, zuerst diejenigen Prozesse zu identifizieren, die viel Zeit beanspruchen und gleichzeitig eine überschaubare Komplexität aufweisen. Das sind geeignete Kandidaten für eine schnelle Automatisierung.
Joeris: Mal eben eine technische Lösung aufsetzen, das funktioniert in der Tat nicht – es geht einfach nicht ohne Strategie und Management. Daher ist es vor jeder Automation ratsam, Prozessverantwortliche hinzuzuziehen, die Komplexität und Zeitaufwand für die anstehenden Aufgaben einschätzen können. Grundsätzlich lassen sich geeignete Anwendungsfälle für eine Automatisierung anhand von bestimmten Kriterien überprüfen.
Godschalk: Welche sind das?
Joeris: Es geht um Antworten auf folgende Fragen:
- Wie hoch ist der manuelle Anteil der Tätigkeiten in einem bestimmten Prozess?
- Wie oft sind sie vonnöten und wie lange dauert der Arbeitsschritt?
- Wie viele Mitarbeiter, Systeme und Technologien benötige ich?
- Welche Nachteile nehme ich in Kauf, wenn die Anwendungsintegration fehlt?
- Welche Nachteile habe ich durch fehlerhafte Bearbeitungen?
- Wie evaluiere ich eine Automatisierung und welche Vorteile stelle ich dabei fest?
Godschalk: Im Gegensatz zu RPA beinhaltet BPM auch wesentliche Funktionen zur Prozessautomatisierung, z.B. beim Kapazitätsmanagement. Auch die Nachvollziehbarkeit auf Prozessebene kann man mit BPM automatisiert sicherstellen: Das ist essenziell für das Einhalten von Compliance-Richtlinien. Dank seines ganzheitlichen Ansatzes verfügt BPM über weitaus mehr Möglichkeiten als die reine Automatisierung, um Prozessverbesserungen einzuführen.
Joeris: Definitiv. Das kennen wir ja aus eigener Erfahrung: Wer etwa unsere Software-Lösung Doxis Business Process Management (BPM) nutzt, kann damit spontane Ad-hoc-Prozesse ebenso wie normative und automatisierte Vorgänge modellieren, organisieren und bearbeiten – und sie miteinander kombinieren. Ein Unternehmen erweitert etwa seinen Standard-Rechnungsprozess um zusätzliche Prüfungen – oder es überträgt wiederkehrende ursprüngliche Ad-hoc-Workflows aus dem Kundenservice in einen normativen Prozess. Das geht schnell, flexibel und mit wenig Administrationsaufwand.
Godschalk: Konkret fällt mir da unser Kunde Raffinerie Heide ein. Das Unternehmen hat sich letztlich für Doxis BPM entschieden, weil diese Lösung strukturierte und spontane Workflows sowie eine flexible Kombination aus beiden bietet. Raffinerie Heide hat mit Doxis einen Workflow für Rechnungsprüfung, Projektgenehmigungen und Obligationen für Compliance-Nachweise gegenüber Finanzpartnern eingeführt und profitiert jetzt von deutlich verringerten Durchlaufzeiten für Dokumente und absoluter Transparenz – auch ohne RPA.
Joeris: Ich würde sogar sagen: „Gott sei Dank ohne RPA!“ Denn RPA automatisiert nur Workarounds. Mit BPM werden die Prozesse verbessert, der gesamte Workflow automatisiert und automatische Prozessschritte nachhaltig per API umgesetzt. Da kann ich Raffinerie Heide nur zu ihrer Weitsicht und zur gelungenen Umsetzung gratulieren.
Dr. Gregor Joeris
Neben seiner Rolle als Geschäftsführer der SERgroup Holding International GmbH ist Dr. Gregor Joeris der innovative Kopf hinter den SER-Technologien [&] -Produkten. Als Geschäftsführer der SER Software Technology GmbH und Chief Technology Officer steht der an der RWTH Aachen promovierte Informatiker federführend für die Konzeption und Weiterentwicklung von Doxis.
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